Gehe auf Start – Frisches Yoga im neuen Frühling

Alles was dazwischen liegt, ist ein Anfang

Es gibt im Yoga kein richtig und kein falsch. So einfach ist das. Richtig und falsch sind Bewertungen einer dualen Lebenswelt, in der wir gerne schwarz und weiß malen, weil das dazwischen so schwierig zu beschreiben ist. Aber genau da beginnt Yoga – die Facetten zwischen Freude und Leid zu erkennen und zu erfahren, was hinter jeder Bewertung, jeder Meinung und jeder Verhaltensweise liegt. Nennen wir diesen Bereich einmal Raum. Im Yoga geht es um den Raum zwischen dem Ausschlagen des Pendels in die eine oder in eine andere Richtung. Dieser Raum ist bei vielen Menschen zunächst einmal leer oder taub und namenlos. Gerade bei Anfängern fallen Beschreibungen gerne ganz deutlich dual aus: Das kann ich nicht und konnte ich noch nie! (Hast du es denn wirklich probiert?) oder Das ist mir zu anstrengend, das tut mir ja weh! (Ja, der Komfortbereich ist ziemlich schmal.) oder Au, da hat es gepiekst! (einfach mal lauschen, was dein Körper und nicht deine Lust sagt …) sind Bewertungen, die etwas Nicht-Gespürtes, etwas Unaufmerksames beschreiben und eigentlich auch nicht viel mehr als das. Wir legen eine Menge hinein in so eine unaufmerksame Erfahrung und geben schnell auf – auf die eine oder andere Art. Der eine hört ganz mit Yoga auf und der andere muckelt sich in seinem Komfortbereich gemütlich ein und achtet im Namen der Achtsamkeit darauf, sich bloß nicht in selbst ernannte Gefahren zu begeben. Schade, denn das Gegenteil von Angst ist Mut und diese stärkende Eigenschaft muss man üben – wie alles im Yoga und im Leben. Unser ältester Yogalehrer Patanjali wusste um diese menschliche Neigung zu kategorisieren und gab dem modernen Yoga Aspiranten einen Rat.

Im Patanjali Sutra II.10 heißt es: Te-pratiprasavaheyah-suksmah – Die subtilen Formen der schmerztragenden Leiden können durch das Zurückführen auf ihren Ursprung vermieden werden (nach Sukadev Bretz Kommentierung). Wie so oft bei Patanjali, bedarf es einer mehr oder weniger erleuchtenden Erklärung dieses Aphorismus. Hier kommt sie: Der großartige Schriftsteller und Semiotiker Umberto Eco hat sogar einen ganzen Roman zur Dualität geschrieben: In Das Foucaultsche Pendel erfahren wir, wie das Pendel in dieser irdischen Welt mit ihren physikalischen Gesetzen immer ausschlagen wird; das ist nicht zu ändern. Folgen wir dem Pendel zu seinem Ausgangspunkt der Aufhängung, wird der aufmerksame Beobachter wahrnehmen, dass der Ausschlag des Pendels immer geringer wird, bis er vollkommen still steht. Dieser Punkt der unendlichen Ruhe, welcher trotz oder gerade aus der Bewegung entsteht, ist nirodha – der Zustand, wenn dein Geist ruht. Dieser Zustand des befreiten Geistes ist das Ziel jeder Übung im Yoga und der Weg dorthin ist der Raum vom äußersten Ausschlag des Pendels (gut-schlecht, Freude-Leid, satt-hungrig etc.) bis hin zum Punkt der geistigen Befreiung in der Ruhe. Dieser Raum ist der Raum jeder Übungspraxis im Yoga – ganz gleich ob es Kundalini Yoga, klassisches Hatha Yoga oder ein anderer Yoga Weg ist. Dieser Raum ist unvermeidlich menschlich und auf dem Yoga Weg mit beherztem Enthusiasmus zu beschreiten – stetig, geduldig und dankbar. In diesem Raum des Übens erhalten wir die schönsten Geschenke und die gemeinsten Rückschläge. Abkürzungen sind hier eine Gnade, die nur den wenigsten zuteil wird und vielleicht auch nur eine von vielen Versuchungen ist. Wie kann man nun konkret zum Ursprung zurück kehren? Yoga ist schließlich ein Erfahrungsweg und erfordert regelmäßiges Üben. Na klar, je komplexer die Asana, umso höher die Intensität der Konzentration und umso deutlicher die Nähe zum Kern unseres Seins in Sat Chid Ananda (Sein, Wissen und Glückseligkeit); nicht umsonst ist der Kopfstand der König der Yogahaltungen. Aber alles hat einen Anfang und der sollte nicht mehr aufhören, denn jede Übung im Yoga wird diesen Raum auf dem Weg zur Ruhe deines Geistes er-füllen.