Etwas Altes und etwas Neues – Nachrichten vom Yogaweg

So kann es gehen

Wie so Vieles im Leben, das Beharrlichkeit, Geduld und Hingabe erfordert, ist der Yogaweg kein leichter. Ich schaue immer wieder in unverständliche Gesichter, wenn wir bisher nicht gekannte Asanas neu kennenlernen, bisher gut gekannte Asanas anders üben oder vermeintlich gut bekannte Asanas neu daher kommen. Kann es alles geben auf einem langen Yogaweg. Was es mit dem Unverständnis so auf sich hat, bleibt dennoch irgendwie offen und – wie ich finde – eine Überlegung wert. So üben wir mit jeder Asana, mit jedem Atembewusstsein und jeder Konzentrationsübung eben dies: unser Verständnis – vom Yoga, vom Leben, von uns. Und doch ist die allseits bekannte Transferleistung des theoretischen Verstehens in das praktische Verständnis viel schwieriger als am Anfang der Asana angenommen. Wo fange ich an? Als ich in einem fortgeschrittenen Kurs die Haltung Supta Virasana (liegender Heldensitz) vorstellte, kam ein ganz spontaner Ausruf aus der Gruppe: Also das konnte ich sowieso noch nie! Hmmmm, fiel mir da zuerst ein, und dann fiel mir erst mal gar nichts ein. Dieser Ausruf war so verständlich menschlich, dass mir nach einer hektischen Suche nur Worte der Erklärung (Die Haltung erfordert eine gute Becken Beweglichkeit, dafür üben wir den Iliopsoas.) und Beschwichtigung (Beginne mit dem Heldensitz und erweitere dann langsam.) einfielen. Aber zufrieden war ich nicht mit mir, denn im Grunde erforderte dieser Ausruf ein anderes Verständnis. Aber welches?

Patanjali nennt im Yoga Sutra I.6 die 5 Arten der Gedankenwellen: richtige Erkenntnis, Irrtum, Einbildung, Tiefschlaf und Erinnerung. Und jede dieser sogenannten vrtti ist leidvoll und nicht-leidvoll zugleich. Im Falle von das-konnte-ich-noch-nie gab mir die Erinnerung besonders zu Denken. Erinnerungen sind etwas sehr Schönes, sie machen einen Menschen aus. Aber sie sind eben gleichermaßen gut und schlecht. Es gibt schließlich auch schlechte Erinnerungen, die man lieber vergessen möchte; Gesagtes oder Getanes, das bis heute auf einen wirkt und das Verhalten ungewollt beeinflusst. Auf diese Weise ist die Erinnerung im Yoga eher ein Hindernis, das unsere Wahrnehmung des Jetzt nach innen wie nach außen verschließt. Es braucht aber eben dieses Wahrnehmen nach innen wie nach außen, um die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und nicht dem Irrtum zu erliegen, dass die letzte Shopping Tour eines dieser ganz dringenden Bedürfnisse ist. Jaaa, Irrtum ist schließlich auch eine vritti, die unsere Wahrnehmung ganz schön ins Schlingern bringt, aber das an anderer Stelle. Welche Bedeutung hat es in diesem Moment, wenn ich vor vielen Jahren etwas konnte oder auch nicht konnte? Das Muster lässt sich beliebig weiter stricken: das-konnte-ich-noch-nie gibt es auch etwas positiver als sowas-habe-ich-früher-nie-gehabt. Und die Frage bleibt sich gleich: Welche Bedeutung hat es in diesem Moment, ob ich früher jung und knackig war und mir nichts etwas anhaben konnte? Es geht nicht um früher, sondern um jetzt. Und es geht nicht um das Können – weder der Zukunft noch der Vergangenheit -, sondern um die eigentlichen Bedürfnisse in uns selbst, die ganz wenig mit den Erinnerungen und noch weniger mit unserer Einbildung – also unseren Bildern von uns selbst – zu tun haben. Und da wartet schon die nächste Gedankenwelle, die Einbildung… Es geht viel mehr um das, was wir jetzt sind und was wir jetzt tun können. Und so geht es um das vorurteilsfreie Lernen im Jetzt, das aus Aufmerksamkeit, Bemühen und Offenheit für das eigene Wesen und das Wesen der Dinge entsteht. Als ich in meiner Jugend Ballett getanzt habe, konnte ich den Spagat nicht und ich war über die Schmerzen der Übung enttäuscht. Das würde ich nie lernen, dachte ich. Nach all den Jahren des Übens von Asanas habe ich diese wunderschöne Haltung des vollkommenen Vertrauens Hanumanasana gelernt, aber nicht aufgrund meines Willens, sondern weil ich den Spagat vergessen habe. Ich habe meinen Ehrgeiz vergessen, mich auf das Üben im Yoga konzentriert und so mein (zugegeben romantisches) Bild von mir als Ballerina oder erfolgreiche Tänzerin usw. beiseite gelegt. So entstand ein neuer Raum, ein Raum für neues Lernen und neue Erfahrungen, die neues Wissen und neue Erinnerungen schaffen, und zwar solche des Vertrauens in die eigenen Kräfte. Das könnte ich heute auf den Ausruf das-konnte-ich-noch-nie antworten und es ist wirklich gut, dass ich mich daran erinnern kann! Wenn nun das nächste Mal ein Schüler mit sowas-habe-ich-früher-nie-gehabt kommt, habe ich Verständnis. Aber vor allem brauche ich nichts mehr sagen, sondern kann weise lächelnd auf diesen Eintrag und natürlich auf Patanjali verweisen. Wie leicht. So kann es gehen auf einem langen Yogaweg.