Herbststimmungen – (Gedankliche) Ausschweifungen auf dem Yogaweg

Der Yoga Poser – ein Phänomen unserer Zeit

Schon lange hat mich die tägliche Yoga Praxis von der Schreibarbeit, jedoch nicht von der Inspiration abgelenkt. Das tägliche Üben in der eigenen Übungspraxis – der sadhana (sanskrit) – sowie das gemeinsame Praktizieren und Austauschen von Gedanken im Unterricht inspirieren mich zu großartigen Ideen für Schreibvorlagen, die mir aber dann irgendwie zu mickrig, zu blöd, zu langweilig, schon da gewesen, interessiert doch keinen usw. sind, so dass am Ende des Yoga immer noch nichts auf dem Papier steht. Leider, muss ich da sagen, denn gedanklich wende ich dabei die ganze Zeit Energien für etwas auf, das schließlich und endlich doch kein sichtbares Ergebnis mit sich bringt. Und schon bin ich mitten im Thema: Verschwendung von Energien. Darüber könnte ich Seiten, Bücher, Bände füllen, und es würde sich immer noch nicht in der täglichen Übungspraxis umsetzen. Übrigens auch so ein Trugschluss, der mir kürzlich mit dem Besuch der Frankfurter Buchmesse wieder deutlich wurde. Jedes Übungsbuch zum Yoga ist und bleibt ein Übungsbuch, die Asanas sind im Buch und nicht bei mir, geübt habe ich dann immer noch nicht. Ich schweife ab, zurück zum Thema: Verschwendung von Energien. Wo fange ich an? Beim Yoga Poser, und ich meine dabei wirklich das vom Englischen eingedeutschte Verb „posen“ für etwas darstellen, posieren, sich als jemand oder etwas ausgeben. Ich denke da an eine Yogastunde, in der wir die Balancehaltung Kakasana – die Krähe – geübt haben. Eine Schülerin sagte dazu, das sei ja wirklich eine Asana für Yoga Poser – erfordert gar nicht so viel Kraft oder Beweglichkeit, wie man zuerst denken mag, und macht was her! Genau, kriegst du jede Frau mit rum, machst jeden Kollegen neidisch und deine Nachbarn nicken anerkennend dazu, vorausgesetzt natürlich, dass all diese Leute wissen, wovon die Rede ist. Spaß beiseite, irgendwie kommt der uns bekannt vor, der Yoga Poser, aber warum? Was ist eigentlich so ein Yoga Poser und was macht er, dass es doch nicht ganz Yoga ist, sondern irgendwie etwas anderes?

Hier bieten sich verschiedene Erklärungsansätze an, aber heute bleibe ich bei diesem einen: Wahrhaftigkeit – asteya (sanskrit) – ist eine der ethischen Regeln im Umgang mit anderen Menschen, die den beherzt und hingebungsvoll Yoga Übenden auf dem achtgliedrigen Pfad des Raja Yoga zur Beherrschung des Geistes vorbereiten. Was für ein Satz! Jetzt noch einmal anders: Wahrhaftigkeit – oder Ehrlichkeit – ist eigentlich ganz leicht; es bedeutet bei dem zu bleiben, was ist und nicht all den Dingen, Gedanken und Möglichkeiten nachzuhängen, die sein könnten, also nicht sind, jedenfalls nicht in dieser Gegenwart. Wenn ich in einer Yoga Asana posiere anstatt zu halten, dann bin ich im Außen, ich trage meinen Geist mit allem, was an ihm hängt an Wünschen, Vorstellungen und Sorgen, woanders hin und lasse zu, dass meine Konzentration löchrig wird wie die Maschen eines Netzes. Meine ganze Energie kann irgendwohin fließen, aber hier, wo ich bin, fehlt sie. Yoga ist der Weg nach Innen, dorthin, wo der Geist wohnt und wo du mit deiner Konzentration Raum schaffst für einen freien, klaren und wachen Geist, der im Jetzt und Hier ist. Diesen Raum kannst du mit jeder Haltung, mit jedem bewussten, ruhigen und tiefen Atemzug und mit einer wachen Aufmerksamkeit üben und so mit dem Üben deine Konzentration fest machen. Du entscheidest, wo deine Energien fließen, ob sie bei dir sind oder ganz woanders. So kann Yoga auch einem Yoga Poser etwas geben, ein gutes Gefühl, das aus vielen Aspekten resultiert, er gefällt sich und anderen, er hat seine Kraft und Beweglichkeit geübt, er hat sich mit anderen gemessen und dabei gewonnen, er hat etwas getan und nicht auf dem Sofa gelegen usw. Aber hat er wirklich und vor allem wahrhaftig geübt? So geübt, dass daraus mehr entsteht als in dem Moment unmittelbar wahrzunehmen ist. Und so komme ich über einen weiten Bogen zu meinem eigentlichen Thema: Verschwendung von Energien. Richtig, das ist gerade in der kalten Jahreszeit dringend zu bedenken! Also, es gibt eigentlich keine Verschwendung, wenn wir ehrlich sind: Seine Energien für andere aufzuwenden, ist immer gut, denn so tragen wir Kraft und Wärme zu unseren Nächsten. Verschwendung entsteht durch Unterlassen, nicht durch Handeln: Es ist zu tun, was zu tun ist, wahrhaftig! P. S. Der Yoga Poser kann natürlich auch weiblich sein, also eine Poserin …