Was ist die richtige Haltung im Yoga?

Haltung wahren

Im Sommer ist vieles leichter und dann auch wieder nicht. An heißen Sommertagen fällt es schwer, tief durch zu atmen, dabei würde ein vollständiger Entspannungsatem kühlend wirken. Wenn es draußen wieder kalt ist, ziehen sich dafür die Schultern fast von selbst zu den Ohren, um die Wärme im Körper zu halten, auch wenn das Wegziehen der Schultern und das bewusste Öffnen des Brustraumes wesentlich besser die Wärmeregulierung des Körpers anregen würden als das Zusammenziehen. Es scheint fast so, dass wir als moderne Menschen intuitiv nicht unbedingt das Richtige wählen, wenn es um unser Wohlbefinden geht. Aber was ist richtig? Und für wen? Haben wir kein Gefühl für die Dinge, die gut oder schlecht für uns sind? Zeitkritisch würde die Antwort sicher nicht positiv ausfallen, aber Yoga weiß, dass jede Erfahrung auf dem Weg des Lernens weiter führt, also bleiben wir an dieser Stelle nicht stehen. Die Frage der körperlichen Intuition ist nämlich so eine Sache. Im Unterricht erlebe ich immer wieder die Situation, dass Schüler sich explizit das Üben wünschen, das ihnen im yogischen Sinn nicht gut tut, soll heißen: Die Erfüllung des Wunsches würde nicht zur Auflösung der Beschwerden führen und den Schüler in seiner persönlichen Entwicklung stagnieren lassen. Ich gebe ein Beispiel: Eine Schülerin mit einer sprühenden Energie wünscht sich immer wieder von mir mehr kraftvolle und fordernde Asanas im Unterricht. Das gefällt ihr halt am besten! Ihr eigenes Wesen ist energisch und feurig und so „passen“ anstrengende Haltungen zu ihr. Gleich und gleich gesellt sich eben gern, könnte man meinen. Was in der Partnervermittlung durchaus Sinn macht, kennt die vedische Gesundheitslehre Ayurveda als typisches Phänomen der Energie: Jede Energie sucht sich die ihr eigene Ausdrucksform. Feuer sucht Feuer und verstärkt somit die dem Feuerelement innewohnenden Eigenschaften – willensstark, umsetzungsfähig und mitreißend! Ihre Feuerenergie reißt mich immer wieder so mit, dass es mir manchmal schwer fällt, ihrem Wunsch nach weiterer Anstrengung nicht zu folgen, obwohl ein Ausgleich der Feuerenergie durch Entspannung, sensibilisierte Wahrnehmung und harmonisches Üben neue Perspektiven auf ihre Gesundheit öffnen würden. Wenn ich dieser Schülerin dann etwas anderes anbiete, geht es dabei nicht darum, sie zu verändern. Yoga weist nicht den Weg der Veränderung, sondern den Weg des Lernens. Hier liegt der Unterschied: Wenn wir verändern, suchen wir etwas im Außen; wenn wir lernen, öffnen wir uns nach innen. Wenn wir verändern wollen, richten wir uns erst einmal nach Außen und bestätigen doch immer wieder nur uns selbst – unsere bekannten Haltungen und Ansichten. Wir suchen immer wieder das Gleiche in uns und verlieren den Blick auf das Andere – so auch auf andere Menschen. Unsere Bedürfnisse wachsen dann zu den Bedürfnissen aller Menschen und wir verstehen das tatsächliche Leid und die tatsächliche Freude der anderen nicht mehr. Das ist eine Sackgasse, aus der Yoga heraushelfen kann.

Patanjalis Yoga Sutra III.25 kann uns helfen, die Ursache des Problems bei der Wurzel zu packen: Durch intensive Konzentration auf die Kraft eines Elefanten kannst Du seine Stärke erreichen. Yoga weiß, dass ein Mensch kein Elefant ist und es auch nicht werden kann. Aber Yoga stellt eine Verbindung zu den Kräften der Natur her, indem uns die Asana und ihre Bezeichnung einen Weg weist. Ein Elefant ist das größte Landtier, das es gibt (trotz veganer Ernährung); verbinde ich meine Gedanken mit der Energie dieses Tieres, so kann ich etwas von diesem Tier lernen. Jede Asana übt schließlich mehr als nur die körperliche Ebene und die Möglichkeiten der Gedankenkraft sind unerschöpflich. Übe ich den Helden, so verbinde ich mich mit den Eigenschaften von Kraft und Selbstbewusstsein eines solchen. Übe ich die Schildkröte, so verbinde ich mich mit der Fähigkeit, meine Sinne zurückzuziehen und ganz bei mir zu sein. Übe ich eine Vorbeuge, so gehe ich in die Ruhe und Kontemplation eines Gebets. Jede Asana übt eine innere Haltung, mit der wir uns verbinden und zwar auf allen Ebenen unseres Seins. Diese Möglichkeit des Yoga weist uns den Weg des inneren Lernens, alle Seiten in uns zu akzeptieren, unsere Schwächen ebenso wie unsere Stärken, so dass wir zu integrierten und stabilen Persönlichkeiten heranwachsen können. Häufig mögen sich feurige Menschen in ihrer unglaublichen Überzeugungskraft und Willensstärke, aber mögen sie sich selbst auch, wenn sie mal keine Kraft haben? Wenn sie schwach oder krank sind und Hilfe brauchen? Das Bild von uns selbst, das wir über die Jahre aufgebaut und kultiviert haben, ist nicht authentisch: Da liegen ganz viele Meinungen, Ansichten und Vorstellungen drin, die nicht von uns selbst sind. So tut es uns gut, mal eine andere Haltung zu probieren! Lass dir eine neue Haltung stehen! Die nächste Asana kann Dir diesen neuen Raum des Spürens und Lernens öffnen – hier und jetzt und in Deinem Alltag. Nutze die Asana, um eine neue Ansicht von Dir selbst zu üben, eine neue Perspektive auf Dich selbst zu werfen, nach einem neuen Wesenszug in Dir zu forschen – und natürlich um eingefahrene Muster aufzulösen. Da finden sich interessante Sachen tief in Dir drin, die eine Verwandtschaft mit dem Elefanten durchaus glaubwürdig erscheinen lassen… Asana macht’s möglich!