SchülerIn fragt – MeisterIn antwortet

Eine Frage des Glücks

Das Leben hält viele Fragen bereit und die Antworten lassen auf sich warten. Als Yogalehrerin weiß ich, wovon ich spreche: Ich werde gefragt und siehe da, die wirklich gute Antwort lässt auf sich warten. SchülerIn muss sich dann mit einer mehr oder weniger zufrieden stellenden, aber immerhin yogischen Antworten zufrieden geben. Ja, auf dem königlichen Pfad des Raja Yoga wird das niyama (sanskr. = Regel für den Umgang mit sich selbst) santosha (sanskr. = Zufriedenheit) häufig unterschätzt – Zufriedenheit mit der erhaltenen und der gegebenen Antwort, die in diesem Augenblick möglich war. Mit den Fragen und den Antworten ist das so eine Sache, später fällt einem immer noch etwas ein, doch jetzt ist nicht später, aber auch nicht früher. Ich denke da immer wieder an die Literatur der mittelalterlichen Scholastik, in welcher Wissen in Gesprächen zwischen wissbegierigem Schüler und wohlmeinendem Magister dargelegt wird. Der Schüler stellt Fragen wie, wo genau das Paradies denn nun geografisch anzusiedeln sei und warum die Liebe einen weiblichen Artikel hat (was zweifelhaft sei) und der Hass einen männlichen (was zweifelsfrei unverständlich sei) und so weiter. Die Antworten des Magisters fallen entsprechend interessant, doch ganz im Sinne des mittelalterlichen Verständnisses der Zeit und der Welt aus; für den heutigen Leser eher unverständlich, aber durchaus amüsant. Was lernen wir daraus? Jede Nachricht hat einen Sender, einen Empfänger, einen Inhalt, ein Medium, einen Kontext und einen Code, so jedenfalls brachte der Sprachwissenschaftler Jakobson diese Augenblicke der oftmals ratlosen, aber schlussendlich fruchtbaren kommunikativen Zusammenkunft zwischen den Menschen auf einen Punkt. In diesem Kommunikationsmodell ist viel Raum für Missverständnisse, aber eben Raum! Raum für Präzision, Filterung, Überlegung, Beweglichkeit und Entwicklung. Vor allem die Entwicklung des Selbst.


Über dieses treffende Modell von Kommunikation – das nach wie vor Bestand hat – können wir die Kraft des Elementes akasha (sanskr. = Äther, Raum) begreifen lernen. Was ist Verstehen, wenn nicht das Greifen nach Wissen im Raum? Mit jeder Frage und jeder Antwort bewegen wir uns in diesem Raum der Möglichkeiten. Welche der Möglichkeiten wir ergreifen, das liegt bei uns selbst. Welche der Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, das entscheidet der königliche Pfad des beständigen und hingebungsvollen Übens von Yoga. Es gibt immer verschiedene Wege, das wusste auch der mittelalterliche Magister, der sehr wahrscheinlich Yoga gar nicht kannte (wer weiß …), aber beständig und hingebungsvoll darum bemüht war zu begreifen, zu erkennen und sein Wissen zu erweitern. Aus diesem Bemühen erwächst etwas, nämlich ein Wissen, das diesen Raum – in dem sich alle unsere Fragen und Antworten bewegen – sinnvoll, schön und weise füllt, so dass jeder Schüler und jede Schülerin diesen Raum aufsuchen kann. So verschwindet ein Stück weit Beliebigkeit, Desinteresse und Abfälligkeit aus diesem Raum des Wissens, aus unserer Lebenswelt. Nicht ohne Grund ist das Element Akasha entlang der Sushumna (sanskr. = feinstoffliche Wirbelsäule) im Kehlbereich angesiedelt, unserem Zentrum des Sprechens, unserem Tor nach außen. Das vierte der fünf niyamas ist swadhyaya (sanskr. = Selbststudium, Studium religiöser Schriften) und so betont Patanjali in Sutra II.44, was aus dem Studium des Selbst entsteht: es entsteht die Gemeinschaft mit der allem innewohnenden Seele, mit der absoluten Wirklichkeit. Das ist eine großartige Aussicht, um die sich jede Bemühung lohnt! Doch jetzt, in diesem Moment gilt: Es gibt kein Studium, das sich nicht in irgendeiner Weise ganz persönlich auf den Studierenden bezieht. Der mittelalterliche Magister denkt, fühlt und spricht zwar im Kontext des Wissens seiner Zeit, doch liegt es an ihm selbst diesen Kontext zu bewegen. Nicht früher oder später, sondern jeden Augenblick dieses Lebens. Was aus unserem Kehlbereich und dann aus dem Mund herauskommt an Worten und Gedanken, das entscheiden, bewirken und gestalten wir selbst. Dann sind die Antworten des Jahres 1400 des alten Magisters auf die Fragen des jungen Schülers doch nicht ganz so blöd … vergaß ich sie zu erwähnen?! Ah ja, da kann man ja nochmal nachfragen.