Alle Beiträge aus der Rubrik »Yogi«

Obwohl durch Art, Ort und Zeit voneinander getrennt,
besteht doch eine Kontinuität in der Wesensgleichheit
von Erinnerung und Prägungen.

Yoga Sutra IV.9

Sobald im Yoga von Energie die Rede ist, scheiden sich die Geister. Dabei ist prana, die yogische Form der Lebensenergie, allgegenwärtig. Und wenn es dann noch um die 7 Chakra geht, also die multidimensionalen Energiezentren entlang der Wirbelsäule, wird Yoga für so manche Menschen befremdlich. Dabei kannst du erkennen, ob jemand verliebt, traurig oder wütend ist. Das siehst du nicht nur mit den Augen, sondern weil du es spürst. Da halte ich es gerne mit dem Volksmund, der wahrscheinlich noch keine Chakra kannte, aber das Wesen der Menschen. Ist jemand ein helles Licht, dann gilt er als intelligent. Das ist die Energie des Geistes im Stirnchakra, wo die Gedankenkraft, Konzentration und Intuition wohnen, die uns unter Umständen erleuchten können. Wer dagegen nicht so helle ist, wandelt in geistiger Umnachtung, sprich Dunkelheit. Wo sitzt die Wut? Natürlich im Bauch! Da ist das Nabelchakra mit der Energie des Feuers. Alles, was nicht verdaut, also verbrannt werden kann – ob Nahrung, Worte oder Eindrücke – kocht dann in Form starker Verletzung hoch. Hier wohnt auch das sogenannte Bauchgefühl, diese feine Ahnung, dass etwas nicht stimmt. Das schlägt einem dann auf den Magen. Die Angst ist sogar ein so einnehmendes Gefühl, dass es gleich 2 Chakra in Anspruch nimmt: Denn wer Angst hat, muss schon einmal die Beine in die Hand nehmen. Das ist das Wurzelchakra am untersten Ende der Wirbelsäule, wo es um den Überlebensinstinkt geht. Aber die Angst sitzt immer auch im Nacken, beim Kehlchakra mit der Energie des Raumes. Ja, Angst verändert das Raumklima nicht nur im eigenen Körper! Da reicht einem das Wasser bis zum Hals oder es geht dir an den Kragen. Doch Hand aufs Herz, am meisten bewegt uns das Herzchakra. Wenn du jemandem die Hand reichst, dann kommt das von Herzen. Die Handreichung ist mehr als ein gesitteter, körperlicher Austausch; sie ist eine Geste des Friedens, des Verzeihens und des Mitgefühls. Noch besser sind Vorhaben, die Hand und Fuß haben; das sind geerdete und ehrliche Handlungen, in welcher das Herz- und Wurzelchakra zusammenwirken. Tja, die Altvorderen wussten, dass der Mensch mehr ist als nur der materielle Körper. Und unser Wirken in dieser Welt kann auch nur so bewusst und gut sein, wir wir auf unseren Körper, auf unser ganzes Sein bewusst und gut wirken. Da steckt eine ganze Welt des Wissens in den Chakra, auch wenn sie nicht immer so heißen. Namen sind ja bekanntlich nur Schall und Rauch, jedoch nicht die Energie dahinter. Die ist wirklich echt.

Diese Ruhe des Bewusstseins erfolgt durch Übung und Loslösung.
Yoga Sutra I.12

In meinem Alltag als Yogalehrerin erlebe ich immer wieder Interessantes. Keine Sorge, ich plaudere jetzt nicht aus dem Nähkästchen! Vielleicht ist für mich einfach der Moment gekommen, um auf 10 Jahre in diesem für mich so lieben Beruf zurück zu schauen. Was für manche gar kein Beruf ist, hat mich doch schon eine ganze Weile begleitet. Und auch ich habe in dieser Zeit so manche Schülerin von Anfang meiner Berufstätigkeit an begleitet. Oder sagen wir lieber, wir sind dieses Stück Weg gemeinsam gegangen. Denn Yoga ist ja vor allem ein Erfahrungsweg. Erfahrungen kann jeder machen wie er möchte, im Yoga gibt es da Empfehlungen. Da halte ich es wie mein Meister B. K. S. Iyengar und konsultiere bei allen Fragen des Yoga die Schriften des Patanjali. In den sogenannten Yoga Sutras finde ich auch immer Antworten, die mich inspirieren und mir den Weg weisen. Eine wichtige Empfehlung ist mir heute in den Sinn gekommen, da ich zurückschaue auf mittlerweile 20 Jahre Yoga Übungspraxis. Was würde der Blick in die Vergangenheit bringen, wenn ich ihn nicht nutzte, um nach vorne zu schauen? Das denke ich in jeder Übung – für ein gesundes Gleichgewicht braucht es beides, nämlich Übung und Loslösung, abhyasa und vairagya. Manche Schüler wollen nur den kraftvollen Aspekt, die Sonnenenergie, die disziplinierte Arbeit. Andere wiederum hätten gerne nur das Liegen auf der Matte, die Mondenergie und das entspannte Verweilen. Was wir wollen, ist eines, was wir brauchen, etwas ganz anderes. Yoga empfiehlt immer beides. Und auch wenn ich kleiner Mensch manchmal glaube, dass es nur einen Weg gibt, dann weiß ich durch Yoga, dass es mindestens zwei Wege gibt. Erst dann latsche ich nicht nur entlang irgend eines vermeintlichen Yogaweges, sondern wachse und lerne.

Aus der Konzentration auf die Schildkröten-Energiebahn entsteht Festigkeit.
Yoga Sutra III.32

Am Anfang des Jahres suche ich nach Inspiration. Lange muss ich nicht suchen, da kommt mir in meiner Lektüre der Schriften über das Yoga erneut die Schildkröte entgegen. Im letzten Jahr hat mich die Schildkröte mit dem Buch Die 7 Geheimnisse der Schildkröte verabschiedet, nun begrüßt sie mich freudig mit der Schildkröten-Energiebahn. Das klingt schon einmal großartig! Wer möchte nicht im Schildkröten Modus Achterbahn fahren?! Dabei geht es hier um die Energiebahnen des Körpers, den sogenannten nadi. Nach der Gesundheitslehre des Yoga verlaufen im menschlichen Körper genau 72.000 Energieleitbahnen. Eine enorme Zahl, die einfach unglaublich viel bedeuten soll, mehr als wir begreifen können. Warum 72 000? 72 ist gleich 6 x 12. Und 12 ist die magische Zahl des Yoga. 12 Monate hat das Jahr, 12 Stunden der Tag und 12 Stunden die Nacht. Eine Stunde lässt sich durch 12 teilen, ebenso wie die Minute. Die Zahl 12 ist die Zahl der Kreisläufe. Jeden Morgen, wenn ich für 12 Sonnengebete auf die Matte gehe, mache ich mir bewusst – das Zyklische ist die immerwährende Kraft des Lebens. Das Leben wie das Lernen sind zyklisch. Die Übung, die ich heute meistere, wird morgen eine andere sein. Und umgekehrt – jede Übung, die mich heute ärgert, kann morgen Freude bringen. Es gibt eben kein fertig. Wenn du mich fragst, dann ist diese Verbindung zur Natur die tiefe Botschaft jeder Yoga Übungspraxis. Wenn du dich mit den Kreisläufen der Natur verbindest, verbindest du dich mit deinem innersten Wesen. Diese Gewissheit schenkt mir Zuversicht und Vertrauen auch in den dunkelsten Stunden. Denn dann bin ich mehr als nur dieser materielle Körper; dann bin ich ein Teil des Ganzen. Und bis ich in andere Kreisläufe übergehe, sause ich erst einmal geschmeidig auf Schildkröten-Energiebahnen durch die nächsten 12 Runden.

Diese Übung findet ihr festes Fundament in einer langen Zeit; ohne Unterbrechung, achtsam und fleißig ausgeführt
Yoga Sutra I.14

Mit Blick auf den Kalender sehe ich, dass die Zeit der Narren beginnt. Ganz woanders aufgewachsen, bin ich nicht Fastnacht sozialisiert und halte mich als Beobachter des närrischen Treibens eher im Hintergrund. Bewundernswert ist für mich aber der Ernst bei dem ganzen Spaß – über eine lange Zeit werden verschiedene Rituale der Fastnacht mit Sinn für Tradition sowie Variation und natürlich in der Gemeinschaft kultiviert. Das alles klingt für meine Ohren irgendwie yogisch. Rituale sind nämlich kein unerheblicher Teil des Yoga. Angefangen bei dem wöchentlichen Yogaunterricht in der Gruppe über das Karma Yoga deiner Alltagspflichten bis hin zum tatsächlichen Kriya Yoga – den regelmäßigen Reinigungshandlungen eines ernsthaften Yoga Aspiranten. So wie die Fastnacht ein festliches Ritual ist, darf Yoga ein tägliches Ritual sein. In deinem geschäftigen Alltag findest du wahrscheinlich nicht immer die Zeit zum Ausrollen der Matte, aber bestimmt für ein yogisches Ritual. So kann die Tasse Kaffee am Morgen mehr als nur eine Notwendigkeit sein. Wenn du willst, wird sie ein Moment des Kraftschöpfens. Um aus der Tasse Kaffee ein Ritual zu machen, braucht es Sorgfalt – du stehst rechtzeitig auf, bereitest alles zu und nimmst dir Zeit für das Wahrnehmen. Narren wollen genießen, ein Yogi nimmt wahr. Ob immerwährendes Müssen oder glückbringendes Ritual, der Unterschied liegt in der Bewusstheit des Tuns. Während das eine Energie verbraucht, schenkt das andere Kraft. Im Grunde tun die Narren ja auch nichts anderes – Kraft schöpfen aus ihrem festlichen Ritual, um einen langen dunklen Winter zu überstehen. Mit einem Ritual wird dein Alltag zum Fest.

Alles im Flow

Aus der Hingabe an die Schöpfung erwächst die Vollkommenheit der tiefen Versenkung
Yoga Sutra II.45

Was ist der Flow? Immer wieder taucht Flow im Yoga auf, ohne sich weiter verständlich zu machen. Es ist eben ein Anglizismus mehr in der täglichen Sprache. However, direkt übersetzt bedeutet das englische Verb „to flow“ so viel wie fließen, bewegen, strömen oder auch zirkulieren. That´s it! Die Bewegungsform des Yoga fördert den Fluss der Lebensenergie, ganz so wie der Tanz. Kommt die Lebensenergie erst in Fluss, dann beginnt sie irgendwann zu strömen, ganz so wie das Wasser in Bächen, Läufen und Flüssen. Mit der Wiederholung einer Asana – ob dynamisch oder haltend – entsteht das Zirkulieren der Lebensenergie im eigenen Körper und im Austausch mit der Lebenswelt. Ganz so wie im Fußball, wenn sich alle Spieler einer Mannschaft in der Freude am Spiel finden, dann entsteht ein Zirkulieren von Lebensenergie. Der Flow ist nicht allein eine Spezialität des Yoga, er ist das Bewusstsein hinter dem, was du tust. Der Flow ist die innige Verbundenheit zu den Kreisläufen der Natur. Der Flow ist eine Erfahrung des Geistes von heiterer Gelassenheit bei voller Kraftentfaltung. Der Flow ist der spielerische Austausch von frei fließender Energie. Anstrengung, Schweiß und harte Arbeit führen nicht zum Bewusstsein des Flow. In endlos schweißtreibenden Runden des Sonnengebets findest du bestimmt Erschöpfung, aber keinen Flow. Alles im Griff ist so ziemlich das Gegenteil von alles im Flow. Das wussten schon die alten Yogis, die den Flow samadhi nannten, die tiefe Versenkung, in der vollkommene Ruhe des Geistes entsteht. Es ist die Erfahrung reiner Verbundenheit mit allem, was ist – ein Geschenk der Hingabe. Und ein Geschenk ist immer ein Geschenk – ob samadhi, tiefe Versenkung oder Flow.

Die Ruhe der Bewusstseinsbewegungen erfolgt durch Hingabe und Loslassen
Yoga Sutra I.12

Leben ist Loslassen. In einem langen Leben gibt es eine Menge Loslassen. Da ist die abgeschlossene Ausbildung oder vergangene Arbeitsverhältnisse. Da sind alte Freundschaften und Beziehungen. Da sind verschiedenste Erfahrungen der Freude oder Trauer. Und da sind Gewohnheiten und Haltungen, die längst überkommen sind. Es gibt eine Menge loszulassen. Im Loslassen wohnt manchmal auch die Sorge etwas zu verlieren. Wenn du loslässt, ist es dann für immer weg? Keineswegs. Loslassen bedeutet zunächst, den Fokus zu verändern. Den Blick zu lösen und auf etwas anderes zu schauen. Dann verändern sich alte Erfahrungen und nehmen eine neue Form an. Der Rucksack mit dem Ballst auf deinem Rücken wird so nicht leichter, aber er passt dann wieder zu dir. Wenn du lernst loszulassen, bekommst du freie Sicht – auf den Weg, den du gehst, aber vor allem auf dich selbst. Loslassen schafft neuen Gestaltungsraum. Nichts geht verloren.

Alles was dazwischen liegt, ist ein Anfang

Es gibt im Yoga kein richtig und kein falsch. So einfach ist das. Richtig und falsch sind Bewertungen einer dualen Lebenswelt, in der wir gerne schwarz und weiß malen, weil das dazwischen so schwierig zu beschreiben ist. Aber genau da beginnt Yoga – die Facetten zwischen Freude und Leid zu erkennen und zu erfahren, was hinter jeder Bewertung, jeder Meinung und jeder Verhaltensweise liegt. Nennen wir diesen Bereich einmal Raum. Im Yoga geht es um den Raum zwischen dem Ausschlagen des Pendels in die eine oder in eine andere Richtung. Dieser Raum ist bei vielen Menschen zunächst einmal leer oder taub und namenlos. Gerade bei Anfängern fallen Beschreibungen gerne ganz deutlich dual aus: Das kann ich nicht und konnte ich noch nie! (Hast du es denn wirklich probiert?) oder Das ist mir zu anstrengend, das tut mir ja weh! (Ja, der Komfortbereich ist ziemlich schmal.) oder Au, da hat es gepiekst! (einfach mal lauschen, was dein Körper und nicht deine Lust sagt …) sind Bewertungen, die etwas Nicht-Gespürtes, etwas Unaufmerksames beschreiben und eigentlich auch nicht viel mehr als das. Wir legen eine Menge hinein in so eine unaufmerksame Erfahrung und geben schnell auf – auf die eine oder andere Art. Der eine hört ganz mit Yoga auf und der andere muckelt sich in seinem Komfortbereich gemütlich ein und achtet im Namen der Achtsamkeit darauf, sich bloß nicht in selbst ernannte Gefahren zu begeben. Schade, denn das Gegenteil von Angst ist Mut und diese stärkende Eigenschaft muss man üben – wie alles im Yoga und im Leben. Unser ältester Yogalehrer Patanjali wusste um diese menschliche Neigung zu kategorisieren und gab dem modernen Yoga Aspiranten einen Rat.

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2018 ohne Umweg zum Yoga Weg!

Es kommt der Morgen (es muss nicht der letzte oder erste Tag des Jahres sein), da spürst du die Veränderung in dir, welche die Veränderung bringt. Dieser Morgen ist immer heute, und heute ist bekanntlich besser als morgen! Also machst du dich auf den Weg zum Yoga. Aller Anfang ist schwer, heißt es ja so oft, im Yoga ist das nicht so. Die ersten Schritte im Yoga sind ganz leicht und schön: Du kannst spüren, wie dein Körper aus einem langen Winterschlaf erwacht und sich ganz ungeahnte Möglichkeiten offenbaren. Genau! Das passiert in eben diesem deinen Körper, der sich bisher nicht so angefühlt hat, als ob er wüsste, was hier eigentlich los ist. Die ersten Schritte im Yoga schaffen also nicht nur eine bessere körperliche Fitness, sie schaffen viel mehr; nämlich Vertrauen in dich selbst und in deine Fähigkeiten. Das wiederum ist um einiges mehr, als man von den ersten Malen Joggen, einem ersten Gerätetraining oder welcher körperlichen Betätigung auch immer im Wahn der Neujahrsversprechungen sagen kann. Nun bist du losgegangen und der erste Schritt auf dem Weg des Yoga ist getan, wie geht es weiter? Beitrag weiterlesen …

Der Anfang aller Selbst-Disziplin

Wenn mich Schüler fragen, ob das Unterrichten von Yoga nicht auch mal langweilig oder doof ist, muss ich immer wieder feststellen, dass Yoga die Antwort ist. Da gibt es nicht viel herum zu reden, ich bin ein Mensch und ein Mensch begegnet sich immer wieder anders. Die Tage sind verschieden und die Gemütszustände auch, also habe ich nicht immer Lust auf das, was ich gerade zu tun habe. Wenn mich Schüler fragen würden, wie es denn mit dem täglichen Kochen sei, würde die Antwort ziemlich ähnlich ausfallen. Kochen an sich ist gut, aber ich habe nicht jeden Tag Lust darauf. Lust ist eine Sache, Disziplin eine andere. Im Yoga wie im täglichen Leben geht es immer wieder um das Thema Disziplin: den Körper und den Atem zu meistern, heißt sich selbst zu disziplinieren und nicht jeder schwierigen Herausforderung nachzugeben. Regelmäßig üben heißt sich selbst zu disziplinieren; den Ort, die Zeit und Verfassung so zu lenken, dass regelmäßiges Üben möglich werden kann. Wer das nicht gleich so gut schafft, ist noch lange kein schlechter Mensch. In der Antike bedeutete Selbstdisziplin, dass ein Mensch sich selbst gut kennt und auf diese Weise gut mit Menschen umgehen kann, um einen kultivierten sozialen Umgang zu pflegen. Das ist eigentlich eine recht yogische Sichtweise. Ob der antike Mensch die im Yoga geltende Universalregel pratipaksa bhavanam kannte? So heißt es im Yoga Sutra II.33: In der Anfechtung durch Zweifel kultiviere das Gegenteil. Das Gegenteil ist im Zweifel auch unser Spiegel, das Gegenüber, so dass die Kultivierung des Selbst eine Kultivierung des Gegenübers nach sich zieht. Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Übung, die es sich lohnt, im Alltag auszuprobieren. So taucht unter Yogaschülern immer wieder die gleiche Frage auf – meine Zeit ist so knapp, ich schaffe es nicht zum Yoga zu kommen, wann soll ich denn üben, wenn immer was dazwischen kommt etc. Das ist ein altes Lied, kennt jeder, auch Patanjali.

Der sagt nämlich in Sutra II.38: Wer in der Zurückhaltung fest steht, gewinnt an Kraft. Und schon sind wir mitten in den niyamas – den Verhaltensregeln für den Alltagsyogi. Na klar, wer will schon Verhaltensregeln hören geschweige denn befolgen, aber Patanjali wusste, was er tat, als er festhielt, was andere oft und gerne beiseite schieben, insbesondere wenn es um Verzicht geht. Jaaa, Zurückhaltung meint nämlich Verzicht. Man könnte auch Askese sagen, aber im Grunde geht es um nichts anderes als um Selbstdisziplin und zwar in allen 5 Regeln, die das Yogaleben vorschreibt, welche da sind: Reinheit, Zufriedenheit, Verzicht, das Studium der Schriften und die Hingabe an Gott. Das klingt erst einmal viel, ist es aber gar nicht. Schließlich geht es nur um eines – Selbstdisziplin, dann kann man sich alle fünf Regeln sicher merken. Der antike Mensch nannte es wohl Kultiviertheit, der heilige Dominikus nannte es Maß, und wir könnten es einfach sich selbst zügeln nennen. Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild des Wagenlenkers, der symbolisch als Verkörperung des Geistes die Zügel – das sind die 5 Sinne – in der Hand hält und so das Pferd – das ist der Körper – lenkt. Die Frage lautet immer: Wer lenkt hier wen? Bei den meisten Menschen ist es der Körper oder die Sinne, am aller wenigsten ist es der Geist. Nicht ohne Grund ist das schwerste im Yoga, den Geist zu zügeln, sich zu konzentrieren, sich nicht ablenken zu lassen vom rechten Weg. An dieser Stelle fühlt sich der Leser meist erst einmal verlassen. Was soll ich denn jetzt tun bzw. was soll ich denn jetzt noch alles tun? Wie eingangs erwähnt, Yoga ist die Antwort.

Der antike Mensch war nicht besser, aber er verstand vielleicht ein bißchen besser, dass Akzeptanz ein erster Schritt zur Selbst-Disziplin ist. Ich muss mich selbst erst annehmen, dann erst kann ich annehmen, was auch immer da auf mich zukommt. Regeln kann man nur akzeptieren, wenn man sich selbst akzeptiert, denn auf wen könnte ich die Regel anwenden, wenn nicht zunächst auf mich selbst? Nur dafür muss ich mich erst einmal kennenlernen, mich finden, mich annehmen. Yoga macht also nichts anderes, als diesen Weg zu mir selbst frei zu schaufeln. Und wie so oft geht es nicht nur um die Asana auf der Matte, sondern um das tägliche Zügeln in den kleinen und großen Dingen des Lebens und da ist jeder Schritt ein Schritt in die richtige Richtung. Der Alltagsyogi muss nicht jede Schüssel leer essen oder 10 anstatt einer Tasse Kaffee trinken (Reinheit), er muss nicht jeder Veranstaltung beiwohnen (Wahrhaftigkeit), er muss nicht jedes neue Auto oder Fahrrad oder Kleid haben (Zufriedenheit) und sich nicht ständig berieseln lassen, sondern auch mal gute Gedanken mit guter Literatur oder anregenden Gesprächen pflegen (Studium der Schriften) und sich immer wieder in Dankbarkeit üben, für all die Geschenke, die das tägliche Leben uns ohne zu fragen gibt (Hingabe an Gott). Mehr ist es gar nicht. Und dann wird es passieren – der Gewinn an Kraft. Alles wird an seinen Platz fallen, denn die (Yoga) Erfahrung zeigt: Wer keine Zeit für Yoga hat, hat mehr als nur Zeit verloren. Wer sich die Zeit nimmt zum Üben, gewinnt unendlich viel mehr als nur Zeit. Mal drüber nachdenken; das ist ein guter, dringend zu kultivierender Gedanke.

 

Ganz großes Yoga

Wenn die Sonne scheint, ist der Sommer schön. Ganz ehrlich, dann ist eigentlich alles schön oder jedenfalls nicht ganz so schlimm. Das ist ein interessantes Phänomen, das im Grunde für alles im Leben gilt: Wenn da Licht ist, kann es ja nicht mehr dunkel sein! Diese Feststellung trägt mich weiter zu unzähligen noch darzulegenden Gedanken, die ich gerade noch sortiere, während ich ein gutes Beispiel aus dem Arbeitsalltag einer Yogalehrerin bringe, sozusagen als Anschauungsmaterial. Kürzlich rief eine Schülerin in einer körperlich recht fordernden Übungssequenz aus: Wie kann man denn da entspannen!? Wie so oft bei den wirklich großen Fragen im Yoga ging mir folgendes durch den Kopf: Eine Frage, unzählige Antwortmöglichkeiten, aber welche ist die richtige? Oder vielmehr: Welche Antwort ist für diesen äußeren Moment und diesen Menschen in seiner persönlichen Situation die am ehesten nützliche? Gar nicht so einfach, denn die Frage hat im Kern ja schon recht; wie geht das eigentlich mit dem Entspannen? Bei dieser Antwort ist es gar nicht so leicht, Licht ins Dunkel zu bringen, denn unsere Welt ist nach der Yoga Philosophie dual und in dieser Dualität immer beides: Entspannung ist leicht und schwer zugleich. Entspannung ist grundsätzlich immer sehr gut möglich, wenn der Mensch einen Zugang zu seinen Bedürfnissen, seinen inneren Kraftquellen, zu seinem Selbst hat. Aber wer hat das schon?! Für die meisten Menschen gibt es eine Vorstellung von Entspannung (z. B. auf dem Sofa liegen und Fernsehen) oder Nicht-Entspannung (z. B. Arbeit), aber ist es das wirklich? Ja und nein.


Patañjali gibt uns Aufschluss; jedenfalls im Hinblick auf Yoga. Die Sutras II.46 und II.47 erklären, wie das geht: Ist die Asana (Haltung) fest und angenehm, so entsteht beides; die Entspannung in der Anstrengung und das In-eins-Fallen mit dem Unendlichen. Alles klar?! Hmm … eines war einem Patañjali auch vor nunmehr 2000 Jahren vollkommen klar: Entspannung kommt nicht pfeifend daher und richtet sich häuslich in Körper und Geist ein. Das weiß die moderne Wissenschaft nur zu gut, dass es viele verschiedene Hormone im Körper eines Menschen gibt, die verschiedene Formen der Entspannung bewirken. Entspannung hat nämlich viele Gesichter. Jeder Yoga Übende weiß das, wenn er denn übt! Je nach Schwerpunkt einer Übungssequenz – ob Rückbeugen, Drehhaltungen, Vorbeugen etc. – ist die Wirkung des Übens anders, aber sie ist Entspannung. Nicht ohne Grund ist Shavasana (Endentspannung) wohl das erste Sanskrit Wort, das sich jeder Yoga Übende merken kann. Es ist eben die Anstrengung im Yoga, von der Patañjali spricht, die wir mit jedem Bewegungsimpuls, jeder Konzentration, jedem bewussten Atemzug in einer fordernden Haltung eingehen müssen, um entspannen zu können. Mit dieser Anstrengung bringen wir Licht in die dunklen Ecken unseres Körpers und unseres Geistes und lernen uns Stück für Stück besser kennen. Wenn wir uns also um uns selbst bemühen, dann, erst dann, legt sich uns alles frei, was wir brauchen. Und was brauchen wir? Tja, das ist eine weitere große Frage im Yoga… Am Ende jeder Übungssequenz ist es immer mehr als nur die Summe ihrer Bestandteile: Das ist In-eins-Fallen mit dem Unendlichen. Dieses In-eins-Fallen zuerst mit sich und dann der Welt ist ein großes Vorhaben, das Zeit und Übung erfordert. Der eine schafft es in diesem Leben, der andere im nächsten. Wer das weiß, kann sich entspannt zurücklehnen und zuversichtlich in das Jetzt blicken. Es gibt keine Eile, nur Übung.

So kann es gehen

Wie so Vieles im Leben, das Beharrlichkeit, Geduld und Hingabe erfordert, ist der Yogaweg kein leichter. Ich schaue immer wieder in unverständliche Gesichter, wenn wir bisher nicht gekannte Asanas neu kennenlernen, bisher gut gekannte Asanas anders üben oder vermeintlich gut bekannte Asanas neu daher kommen. Kann es alles geben auf einem langen Yogaweg. Was es mit dem Unverständnis so auf sich hat, bleibt dennoch irgendwie offen und – wie ich finde – eine Überlegung wert. So üben wir mit jeder Asana, mit jedem Atembewusstsein und jeder Konzentrationsübung eben dies: unser Verständnis – vom Yoga, vom Leben, von uns. Und doch ist die allseits bekannte Transferleistung des theoretischen Verstehens in das praktische Verständnis viel schwieriger als am Anfang der Asana angenommen. Wo fange ich an? Als ich in einem fortgeschrittenen Kurs die Haltung Supta Virasana (liegender Heldensitz) vorstellte, kam ein ganz spontaner Ausruf aus der Gruppe: Also das konnte ich sowieso noch nie! Hmmmm, fiel mir da zuerst ein, und dann fiel mir erst mal gar nichts ein. Dieser Ausruf war so verständlich menschlich, dass mir nach einer hektischen Suche nur Worte der Erklärung (Die Haltung erfordert eine gute Becken Beweglichkeit, dafür üben wir den Iliopsoas.) und Beschwichtigung (Beginne mit dem Heldensitz und erweitere dann langsam.) einfielen. Aber zufrieden war ich nicht mit mir, denn im Grunde erforderte dieser Ausruf ein anderes Verständnis. Aber welches?

Patanjali nennt im Yoga Sutra I.6 die 5 Arten der Gedankenwellen: richtige Erkenntnis, Irrtum, Einbildung, Tiefschlaf und Erinnerung. Und jede dieser sogenannten vrtti ist leidvoll und nicht-leidvoll zugleich. Im Falle von das-konnte-ich-noch-nie gab mir die Erinnerung besonders zu Denken. Erinnerungen sind etwas sehr Schönes, sie machen einen Menschen aus. Aber sie sind eben gleichermaßen gut und schlecht. Es gibt schließlich auch schlechte Erinnerungen, die man lieber vergessen möchte; Gesagtes oder Getanes, das bis heute auf einen wirkt und das Verhalten ungewollt beeinflusst. Auf diese Weise ist die Erinnerung im Yoga eher ein Hindernis, das unsere Wahrnehmung des Jetzt nach innen wie nach außen verschließt. Es braucht aber eben dieses Wahrnehmen nach innen wie nach außen, um die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und nicht dem Irrtum zu erliegen, dass die letzte Shopping Tour eines dieser ganz dringenden Bedürfnisse ist. Jaaa, Irrtum ist schließlich auch eine vritti, die unsere Wahrnehmung ganz schön ins Schlingern bringt, aber das an anderer Stelle. Welche Bedeutung hat es in diesem Moment, wenn ich vor vielen Jahren etwas konnte oder auch nicht konnte? Das Muster lässt sich beliebig weiter stricken: das-konnte-ich-noch-nie gibt es auch etwas positiver als sowas-habe-ich-früher-nie-gehabt. Und die Frage bleibt sich gleich: Welche Bedeutung hat es in diesem Moment, ob ich früher jung und knackig war und mir nichts etwas anhaben konnte? Es geht nicht um früher, sondern um jetzt. Und es geht nicht um das Können – weder der Zukunft noch der Vergangenheit -, sondern um die eigentlichen Bedürfnisse in uns selbst, die ganz wenig mit den Erinnerungen und noch weniger mit unserer Einbildung – also unseren Bildern von uns selbst – zu tun haben. Und da wartet schon die nächste Gedankenwelle, die Einbildung… Es geht viel mehr um das, was wir jetzt sind und was wir jetzt tun können. Und so geht es um das vorurteilsfreie Lernen im Jetzt, das aus Aufmerksamkeit, Bemühen und Offenheit für das eigene Wesen und das Wesen der Dinge entsteht. Als ich in meiner Jugend Ballett getanzt habe, konnte ich den Spagat nicht und ich war über die Schmerzen der Übung enttäuscht. Das würde ich nie lernen, dachte ich. Nach all den Jahren des Übens von Asanas habe ich diese wunderschöne Haltung des vollkommenen Vertrauens Hanumanasana gelernt, aber nicht aufgrund meines Willens, sondern weil ich den Spagat vergessen habe. Ich habe meinen Ehrgeiz vergessen, mich auf das Üben im Yoga konzentriert und so mein (zugegeben romantisches) Bild von mir als Ballerina oder erfolgreiche Tänzerin usw. beiseite gelegt. So entstand ein neuer Raum, ein Raum für neues Lernen und neue Erfahrungen, die neues Wissen und neue Erinnerungen schaffen, und zwar solche des Vertrauens in die eigenen Kräfte. Das könnte ich heute auf den Ausruf das-konnte-ich-noch-nie antworten und es ist wirklich gut, dass ich mich daran erinnern kann! Wenn nun das nächste Mal ein Schüler mit sowas-habe-ich-früher-nie-gehabt kommt, habe ich Verständnis. Aber vor allem brauche ich nichts mehr sagen, sondern kann weise lächelnd auf diesen Eintrag und natürlich auf Patanjali verweisen. Wie leicht. So kann es gehen auf einem langen Yogaweg.

Eine Frage des Glücks

Das Leben hält viele Fragen bereit und die Antworten lassen auf sich warten. Als Yogalehrerin weiß ich, wovon ich spreche: Ich werde gefragt und siehe da, die wirklich gute Antwort lässt auf sich warten. SchülerIn muss sich dann mit einer mehr oder weniger zufrieden stellenden, aber immerhin yogischen Antworten zufrieden geben. Ja, auf dem königlichen Pfad des Raja Yoga wird das niyama (sanskr. = Regel für den Umgang mit sich selbst) santosha (sanskr. = Zufriedenheit) häufig unterschätzt – Zufriedenheit mit der erhaltenen und der gegebenen Antwort, die in diesem Augenblick möglich war. Mit den Fragen und den Antworten ist das so eine Sache, später fällt einem immer noch etwas ein, doch jetzt ist nicht später, aber auch nicht früher. Ich denke da immer wieder an die Literatur der mittelalterlichen Scholastik, in welcher Wissen in Gesprächen zwischen wissbegierigem Schüler und wohlmeinendem Magister dargelegt wird. Der Schüler stellt Fragen wie, wo genau das Paradies denn nun geografisch anzusiedeln sei und warum die Liebe einen weiblichen Artikel hat (was zweifelhaft sei) und der Hass einen männlichen (was zweifelsfrei unverständlich sei) und so weiter. Die Antworten des Magisters fallen entsprechend interessant, doch ganz im Sinne des mittelalterlichen Verständnisses der Zeit und der Welt aus; für den heutigen Leser eher unverständlich, aber durchaus amüsant. Was lernen wir daraus? Jede Nachricht hat einen Sender, einen Empfänger, einen Inhalt, ein Medium, einen Kontext und einen Code, so jedenfalls brachte der Sprachwissenschaftler Jakobson diese Augenblicke der oftmals ratlosen, aber schlussendlich fruchtbaren kommunikativen Zusammenkunft zwischen den Menschen auf einen Punkt. In diesem Kommunikationsmodell ist viel Raum für Missverständnisse, aber eben Raum! Raum für Präzision, Filterung, Überlegung, Beweglichkeit und Entwicklung. Vor allem die Entwicklung des Selbst.


Über dieses treffende Modell von Kommunikation – das nach wie vor Bestand hat – können wir die Kraft des Elementes akasha (sanskr. = Äther, Raum) begreifen lernen. Was ist Verstehen, wenn nicht das Greifen nach Wissen im Raum? Mit jeder Frage und jeder Antwort bewegen wir uns in diesem Raum der Möglichkeiten. Welche der Möglichkeiten wir ergreifen, das liegt bei uns selbst. Welche der Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, das entscheidet der königliche Pfad des beständigen und hingebungsvollen Übens von Yoga. Es gibt immer verschiedene Wege, das wusste auch der mittelalterliche Magister, der sehr wahrscheinlich Yoga gar nicht kannte (wer weiß …), aber beständig und hingebungsvoll darum bemüht war zu begreifen, zu erkennen und sein Wissen zu erweitern. Aus diesem Bemühen erwächst etwas, nämlich ein Wissen, das diesen Raum – in dem sich alle unsere Fragen und Antworten bewegen – sinnvoll, schön und weise füllt, so dass jeder Schüler und jede Schülerin diesen Raum aufsuchen kann. So verschwindet ein Stück weit Beliebigkeit, Desinteresse und Abfälligkeit aus diesem Raum des Wissens, aus unserer Lebenswelt. Nicht ohne Grund ist das Element Akasha entlang der Sushumna (sanskr. = feinstoffliche Wirbelsäule) im Kehlbereich angesiedelt, unserem Zentrum des Sprechens, unserem Tor nach außen. Das vierte der fünf niyamas ist swadhyaya (sanskr. = Selbststudium, Studium religiöser Schriften) und so betont Patanjali in Sutra II.44, was aus dem Studium des Selbst entsteht: es entsteht die Gemeinschaft mit der allem innewohnenden Seele, mit der absoluten Wirklichkeit. Das ist eine großartige Aussicht, um die sich jede Bemühung lohnt! Doch jetzt, in diesem Moment gilt: Es gibt kein Studium, das sich nicht in irgendeiner Weise ganz persönlich auf den Studierenden bezieht. Der mittelalterliche Magister denkt, fühlt und spricht zwar im Kontext des Wissens seiner Zeit, doch liegt es an ihm selbst diesen Kontext zu bewegen. Nicht früher oder später, sondern jeden Augenblick dieses Lebens. Was aus unserem Kehlbereich und dann aus dem Mund herauskommt an Worten und Gedanken, das entscheiden, bewirken und gestalten wir selbst. Dann sind die Antworten des Jahres 1400 des alten Magisters auf die Fragen des jungen Schülers doch nicht ganz so blöd … vergaß ich sie zu erwähnen?! Ah ja, da kann man ja nochmal nachfragen.

Aufgepasst bei der Wahl des richtigen Yoga

In der schönsten Zeit des Jahres, dem Spätfrühling (eine neue Wortschöpfung …), kommt es häufig zu Spätfolgen der kalten Jahreszeit. Wie sehen die aus? Es gibt ihrer verschiedene, aber oft in Form eines Aktivitätsüberhangs: Ah ja, schöner Abend, man könnte ja spazieren gehen und die aufblühende Natur erleben, aber ich habe ja noch so viel zu tun, das kann jetzt nicht liegen bleiben und der Sommer kommt ja noch, da ist ja noch genug Zeit für alles. Die einzelnen Bestandteile dieser allegorischen Darstellung lassen sich beliebig austauschen, hauen aber immer wieder hin. Es könnte also auch heißen: Das ist ein guter Moment um Gutes zu tun, ich halte mich dennoch an gewohnte Verhaltensweisen und morgen ist auch noch ein Tag. Keineswegs leicht, die Zeichen der Zeit zu erkennen, auch wenn sie unüberhörbar laut sind. Der Lösungsweg ist aber gar nicht so schwer wie eingangs hartnäckig vermieden und umgangen. Jeder beständig übende Yogi wird bestätigen, dass die Erkenntnis – jede Erkenntnis – erst durch ein tiefes Tal führt. Ja, das musste mal gesagt werden! Das Tal der Erkenntnis ist der Moment der Wahrheit, dass vielleicht doch nicht alles so ist, wie man es sich zurecht legt. Vielleicht sind viele der Gründe, die mich verhindern, auch nur Ausflüchte vor dem Unangenehmen; all dem, was nicht gefällt, nicht Spaß macht, nicht nach etwas aussieht etc. Der prüfende Bick auf die selbst gebastelteten Vorstellungen tut erst einmal weh. Aber – und jetzt kommt das aber – genau das braucht es!

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Heute mal ganz anders

Unterrichten ist eine vielseitige Arbeit, die einen ganzen Yogi (er)fordert. Oft stellen sich Fragen, die weitgehend unbeantwortet bleiben. War die Übungssequenz der heutigen Unterrichtsstunde wirklich ausgewogen? Entsprach sie dem Level der Schüler? Waren die Hilfestellungen angemessen? Fragen über Fragen. Manchmal stellen auch Schüler Fragen, die dann aber nicht unbeantwortet bleiben dürfen. So fragte mich kürzlich eine Schülerin, warum ich nach einer aktivierenden Übungssequenz am Morgen eher eine regenerative Haltung als shavasana (= Endentspannung im Liegen) empfehle. Kein shavasana?! Grundsätzlich ist gegen Shavasana nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, ohne eine Transformation der auf der Matte geübten Energien in den Lebensalltag laufen wir wie Stöcke herum; sind hart, wo wir weich sein könnten und sind verschlossen, wo wir offen sein könnten. Jede Asana braucht ein Hineingehen, ein Verweilen und ein Herausgehen. Im Kleinen wie im Großen: Jede Zusammenstellung von Asanas braucht also eine Vorbereitung, ein Üben in abhyasa (= Anstrengung) und vairagya (= Entspannung) und schließlich eine Nachbereitung. Also doch shavasana!? Njein … Es geht auch mal anders, je nachdem, was der sich in viveka (= Unterscheidungskraft) übende Yogi will.

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In Zeiten der Nächstenliebe …

… geht es nicht gerade liebevoll zu. Was ist nicht noch alles zu besorgen, zu erledigen, einzukaufen und zu richten, wenn es Weihnachten wird! In all der Geschäftigkeit erinnern Postkarten, Geschäfte, Werbung etc. regelmäßig daran, dass Weihnachten eine Zeit der Einkehr und des Zur-Ruhe-Kommens ist. Da sind wir fast schon wieder beim Yoga, denn unser hehres Ziel ist ja nicht das anstrengende Üben auf der Matte an sich, sondern das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen des Geistes – so wie es uns Patanjali im Yoga Sutra I.2 auf den Weg mitgegeben hat. Alles nicht so einfach, wenn die Gegesätze im täglichen Leben so deutlich werden und doch gelebt werden müssen. Ich wundere mich manchmal in stillen Momenten, ob das Jahresende nicht einer Art Jüngstem Gericht gleicht, wenn alles, aber auch wirklich alles vorher erledigt, getan und gerichtet sein muss, als käme danach nichts mehr. (Mittlerweile sind die Lebensmittelläden ja ziemlich lange geöffnet.) Das ist die letzte Chance, im neuen Jahr ist alles anders! Es sind viele Hoffnungen und Wünsche und gleichzeitig so viel Anstrengung und Sorge, die ein Mensch in dieser Zeit mit sich herumträgt, welche Erfüllung soll da am Ende stehen?

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Die Zeit des Übens

Urlaub vorbereiten ist ein großes Unternehmen. Nicht nur das Sortieren, Waschen und Packen der Kleidung, das überlegte Einkaufen von angemessen ausreichenden Nahrungsmitteln vor den Reisen und für die Reisen, das Aussuchen von Mitbringseln, die den Gepäckrahmen – ob Flug oder Auto – auf die eine oder andere Art nicht sprengen, die Wahl der Freizeitgestaltung von Literatur bis Ball- oder Brettspielen … nein, für einen Yoga Sadhaka (einen Yoga Praktizierenden) kommt noch eine Überlegung hinzu: Wie fahre ich mit der Yoga Übung in dieser Zeit der Freizeit fort? Der Alltag hat seine Vorteile: Die Grenzen sind gesteckt und es ist mehr eine Frage der Priorisierung als der Fülle, wie Yoga da nun hineinpasst. Das „ob“ Yoga da hineinpasst, lasse ich ganz aus, denn Yoga passt immer. Nicht Yoga zu üben, weil man – wie immer – zu viel zu tun hat, ist ein Trugschluss, der uns die eigentliche Yogaerfahrung verwehrt: Wenn du vor dem Yoga denkst, keine Zeit zu haben, nach dem Yoga hast du alle Zeit der Welt. Yoga zeigt dir die Möglichkeiten, die hinter diesem Denken stehen und es ist ein Denken, eine Haltung, eine Einstellung, nicht die Realität. Wie viel Zeit hast du für dich? In Fragen der täglichen Übungspraxis für eine bessere Gesundheit formulierte einer meiner Yogalehrer seine aus Erfahrung gewonnene Einstellung so: Wenn du meinst, dass du nicht 15 Minuten am Tag Zeit für dich hast, wer hat sie dann? Die Yogalehre formuliert die Frage etwas anders: Wer (in dir) braucht diese Zeit und wer (in dir) verschwendet diese an alles andere, nur nicht an dich? Es wäre so naheliegend, hier mit dem Widerstreit von Gut und Böse anzufangen, dem kleinen Engel auf der einen und dem kleinen Teufel auf der anderen Schulter, aber wo liegt da der Lösungsweg für den Menschen in der Mitte?

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Hindernisse auf dem Yogaweg, Teil 2: Anhänge

Wenn ich so aus dem Fenster schaue, muss ich feststellen, dass im Sommer irgendwie alles möglich ist: zwischen unerträglicher Hitze bis zur nassen Kälte scheint das Spektrum des Wetters noch lange nicht ausgeschöpft. Am unglaublichsten finde ich ja auch das Tempo der Veränderungen: Kaum setze ich mich in den lauen Sommerabend, brausen schon die Gewitterwolken – ich möchte sagen in Lichtgeschwindigkeit (!) – heran und ich muss mich beeilen, noch trockenen Hauptes und Fußes die Sitzkissen ins Haus zu retten. Gemütlich ist das nicht. Und da bin ich auch schon wieder mitten im yogischen (Er-)Leben. Etwas mehr Beständigkeit wäre schön, im Wetter wie im Leben. Warum bleibt nur dieser schöne, laue Sommerabend nicht? Diese Frage erinnert im Grunde an den Schreckmoment des Prinzen Siddharta, der aus dem Schutz seines königlichen Palastes auszog, um Buddha zu werden und zu erkennen, dass es drei unvermeidbare Leiden im Leben gibt; das Alter, die Krankheit und die Armut. Warum ist es nicht immerwährend schön und leicht und gut wie in seinem königlichen Heim? Das Leben zu begehen, wie ein eigenes Haus, das jeden Tag gepflegt, gereinigt und in Ordnung gehalten wird, ist ein Ansatz, der unermüdliches Bemühen erfordert, einen Status quo zu erhalten, der aus den eigenen Vorstellungen von Heim entspringt. Fängt der Putz an zu bröckeln, müssen wir ihn ausbessern, und alles ist wieder gut. Es liegt aber in der Natur der Dinge, dass alles im Fluss ist, wie Heraklit bereits in der Antike mit seiner Aussage panta rhei (= alles fließt) verkündete. In seiner Flusslehre formuliert Heraklit aber schließlich nur, was schon da war. Und auch Buddha erkannte nur, was schon da war. Wenn Buddha von der Unvermeidbarkeit der Armut sprach, so meinte er nicht das Elend, das aus dem Tun der Menschen aus Nachlässigkeit, Trägheit oder Verachtung entsteht. Er meinte vielmehr das Nicht-Erkennen (Wollen) der Beschaffenheit der Dinge des Lebens. Und hier sagt Patanjali in den Yoga Sutras auch nichts anderes:  Die Ursache allen Leids ist avidya, das Nicht-Wissen, das Nicht-Erkennen. Also, Haus vs. Fluss, wer gewinnt?

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Hindernisse auf dem Yogaweg, Teil 1: Verkrustungen

Lange habe ich nichts mehr von mir hören lassen, aber mir fiel einfach nichts richtig Gutes ein. Dabei ist es im Yoga wie im Leben: Das tägliche Üben (= das tägliche Leben) erzählt so viele Geschichten über uns und unsere Sorgen, Wünsche und Bedürfnisse, dass man gar nicht viele Schritte gehen muss, um wieder einen kleinen, richtungsweisenden Kieselstein auf dem Weg des Yoga (= des Lebens) zu entdecken, man muss nur genau hinschauen. Doch wie so oft, liegt der Teufel im Detail und eben das genaue Hinschauen birgt schon allein drei verschiedene Möglichkeiten des Handelns. Diese heißen in der Yogalehre tamas (Trägheit), rajas (Aktivität) und sattva (Reinheit). Zusammen sind das die gunas, die drei materiellen Eigenschaften, die in unserem Leben in uns und durch uns wirken. Während nun also der Yoga Aspirant auf seinem Yogapfad dahinschreitet (= der Mensch auf seinem Lebensweg) kann er „tamasig“ handeln, er schaut dann gar nicht erst hin, meint vielleicht sogar, dass da gar kein Kieselstein für ihn liegt. Er nimmt also die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, gar nicht wahr und denkt sich „das hat doch alles keinen Sinn“ oder „das ist ja sowieso nichts für mich“. So kann der Aspirant aber auch „rajasig“ handeln, er sucht schon nach einem Kieselstein auf dem Weg und schnappt sich gleich den schönen, glatten, runden Stein, und ist stolz auf seinen Fund. In diesem Fall sieht er schon die Möglichkeiten und bemüht sich um einen Schritt auf diesem Weg, aber dieser Schritt ist leicht und angenehm und in gewisser Weise ein Treten auf der Stelle, denn dieser Stein berührt den Aspiranten nicht in seinem innersten Wesen, er schmeichelt in der Hand und man kann sich vor anderen damit brüsten. Nun bleibt noch eine letzte Möglichkeit: Der Stein, der nicht schön und leicht ist und den man gar nicht aufheben würde, wenn da nicht doch etwas wäre, das den Aspiranten dazu bewegt, diesen steinigsten der Kieselsteine zu greifen. Das ist das „sattvige“ Handeln, das dann wirkt, das reine Handeln aus einem tiefen Bewusstsein heraus, dass es eine Wahrheit gibt, die in den Möglichkeiten dieses Steines liegt, die mehr ist als nur die Summe der jetzt und hier greifbaren Bestandteile. Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wo kommt dieses Bewusstsein her und wie kann es wirken?

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Wie fange ich am besten an?

Es gibt eine Menge über Yoga zu schreiben. Normalerweise fallen mir tausend Dinge ein, die ich unbedingt noch sagen oder schreiben möchte, aber in dem Moment, da ich vor dem Bildschirm sitze und der nächste Beitrag wartet, fällt mir erst einmal nichts ein. Das ist vielleicht ein bißchen wie mit dem Üben von Yoga. Der Tag war lang, du bist müde oder angespannt, es gibt immer noch ganz viel anderes zu tun, aber eigentlich wolltest du doch Yoga üben, aber eigentlich … ja, was eigentlich? In solchen Momenten helfen uns Patanjalis Worte, dass Yoga immer jetzt ist und nicht später, nicht wirklich weiter. Denn wie fange ich das Jetzt an? Die Erfahrung zeigt hingegen – und das wusste auch Patanjali, als er dieses Yoga Sutra I.1 verfasste -, dass der Anfang gewiss ist und dich das Üben über diesen Augenblick des Zögerns hinweg tragen wird. Und siehe da? In meinen Überlegungen, wie ich das Kapha aktivierende Üben schmackhaft anpreisen könnte, kommt mir dieser außerordentlich passende Artikel auf spiegel.de in die Finger bzw. in mein Blickfeld und schon fließen die Worte zur Tastatur. In diesem Artikel spricht Michael Pfingsten, Professor der Psychologie an der Universität Göttingen, über die psychische Komponente des Rückenschmerzes. Dass Rückenschmerzen immer psychische und physische Ursachen haben, ist so manchem Leidenden nicht so leicht zu erklären, schließlich möchte niemand gerne als depressiv oder psycho-somatisch erkrankt stigmatisiert werden, wenn einfach nur der Rücken weh tut. Der Titel bietet einen treffenden Ausblick, worum es hier geht: Durchhalter und Vermeider. Diese Typenbezeichnungen stehen für Strategien im Umgang mit Schmerz, und was ist Schmerz, wenn nicht eine Grenzerfahrung? Jetzt kann sich jeder überlegen, was bin ich denn eigentlich für ein Typ?

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Berechtigte Kritik: Körperschäden durch Yoga

Yoga ist im Moment einfach IN, dem kann ich gar nicht allzu viel hinzufügen. Jede Begeisterungswelle hat aber eben auch ihre Schattenseiten, berichtet www.spiegel.de mit dem Artikel Streit um Risiken: US-Autor legt sich mit Yoga-Fans an. Dabei ist das Sensationsbuch des Autors William Broad mit dem Titel The Science of Yoga, das in den USA eine kontroverse Diskussion über Yoga ausgelöst hat, die Vorlage für die Kritik des Artikels, dass nicht alle Menschen Yoga als Wohltat erfahren. Viele Menschen verletzen sich im Yogaunterricht, teilweise sogar schwer. Yoga ist also gar nicht gut? Aber es kommt – wie so oft – ganz anders: Im Fließtext werden die reißerischen Aussagen immer weiter relativiert, bis – interessanterweise – eine sehr yogische Ansicht die ganze Aufregung beruhigt.  

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