Raus aus dem Komfortbereich, rein ins neue Gleichgewicht!

Heute mal ganz anders

Unterrichten ist eine vielseitige Arbeit, die einen ganzen Yogi (er)fordert. Oft stellen sich Fragen, die weitgehend unbeantwortet bleiben. War die Übungssequenz der heutigen Unterrichtsstunde wirklich ausgewogen? Entsprach sie dem Level der Schüler? Waren die Hilfestellungen angemessen? Fragen über Fragen. Manchmal stellen auch Schüler Fragen, die dann aber nicht unbeantwortet bleiben dürfen. So fragte mich kürzlich eine Schülerin, warum ich nach einer aktivierenden Übungssequenz am Morgen eher eine regenerative Haltung als shavasana (= Endentspannung im Liegen) empfehle. Kein shavasana?! Grundsätzlich ist gegen Shavasana nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, ohne eine Transformation der auf der Matte geübten Energien in den Lebensalltag laufen wir wie Stöcke herum; sind hart, wo wir weich sein könnten und sind verschlossen, wo wir offen sein könnten. Jede Asana braucht ein Hineingehen, ein Verweilen und ein Herausgehen. Im Kleinen wie im Großen: Jede Zusammenstellung von Asanas braucht also eine Vorbereitung, ein Üben in abhyasa (= Anstrengung) und vairagya (= Entspannung) und schließlich eine Nachbereitung. Also doch shavasana!? Njein … Es geht auch mal anders, je nachdem, was der sich in viveka (= Unterscheidungskraft) übende Yogi will.

Auf die Frage der Schülerin fiel mir der Satz unseres Meisters B.K.S. Iyengar ein, dass das Üben im Yoga nicht dogmatisch sein solle. Yoga ist ein Übungsweg und die hingebungsvolle Wiederholung der Übungen ist diesem Weg in hohem Maße immanent. Das bedeutet aber nicht im Umkehrschluss ein Festhalten an einer bestimmten Art des Übens, einer bestimmten Reihenfolge oder Wirkung. Eben dieses Festhalten ist das Nicht-Loslassen, aus dem jede Gewöhnung und Gewohnheit bis hin zu Schonhaltung oder Starre erwächst. Oder etwas netter formuliert: Yoga bedeutet nicht, es sich schön achtsam in der eigenen Komfortzone einzurichten, weil es ja so angenehm ist und weil Loslassen – ja, es bleibt dabei – auf jeder Ebene des Seins einfach nur schwer ist. Da wo es uns leicht fällt, ist es kein Loslassen. Iyengar wusste, was er sagte, denn das Loslassen bedeutet auch, jetzt nicht auf all die eigenen Unzulänglichkeiten zu schauen und Gram gebeugt über die eigenen Schwächen und Sehnsüchte ganz außer Acht zu lassen, dass Loslassen nach vorne Blicken heißt! Jetzt ist der Augenblick, es anders zu machen, es neu zu machen, es zu probieren und zu sehen, was daraus erwächst. Nur so kann ein Gleichgewicht der Kräfte entstehen, in dem nicht nur den Neigungen Raum geschenkt wird, sondern den eigentlichen Bedürfnissen des Selbst. Dann entsteht Yoga: Harmonie und Frieden. Ah, shavasana, gute Sache! All diese Überlegungen fielen mir natürlich erst viel später ein, als die Schülerin längst nach Hause gegangen war und ich – allein vor mich hin – nach einer noch besseren Antwort suchte. Jetzt ist eben nicht immer der beste Augenblick, aber es ist immer der richtige!