Die Rückkehr zum Ursprung

In Zeiten der Nächstenliebe …

… geht es nicht gerade liebevoll zu. Was ist nicht noch alles zu besorgen, zu erledigen, einzukaufen und zu richten, wenn es Weihnachten wird! In all der Geschäftigkeit erinnern Postkarten, Geschäfte, Werbung etc. regelmäßig daran, dass Weihnachten eine Zeit der Einkehr und des Zur-Ruhe-Kommens ist. Da sind wir fast schon wieder beim Yoga, denn unser hehres Ziel ist ja nicht das anstrengende Üben auf der Matte an sich, sondern das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen des Geistes – so wie es uns Patanjali im Yoga Sutra I.2 auf den Weg mitgegeben hat. Alles nicht so einfach, wenn die Gegesätze im täglichen Leben so deutlich werden und doch gelebt werden müssen. Ich wundere mich manchmal in stillen Momenten, ob das Jahresende nicht einer Art Jüngstem Gericht gleicht, wenn alles, aber auch wirklich alles vorher erledigt, getan und gerichtet sein muss, als käme danach nichts mehr. (Mittlerweile sind die Lebensmittelläden ja ziemlich lange geöffnet.) Das ist die letzte Chance, im neuen Jahr ist alles anders! Es sind viele Hoffnungen und Wünsche und gleichzeitig so viel Anstrengung und Sorge, die ein Mensch in dieser Zeit mit sich herumträgt, welche Erfüllung soll da am Ende stehen?

Wenn wir im Yoga nach dem Grund allen Übels fragen, so lautet die Antwort: avidya = Unwissenheit. Vidya bedeutet Erkenntnis und Wissen, das Licht nach dem der Yoga Übende aus der Dunkelheit greift, mit jeder geübten Asana, jedem geatmeten Pranayama, jeder ersessenen Meditation. Das Nicht-Wissen (also a-vidya) ist das erste der fünf kleshas, die sogenannten Plagen, denen wir unweigerlich im Geiste immer wieder begegnen müssen und die somit Hindernisse auf dem Weg der Erkenntnis darstellen. In II.3 der Yoga Sutras nennt Patanjali die weiteren vier Plagen: die Ichsucht (asmita), das Mögen (raga) und das Nicht-Mögen (dvesha) sowie die Angst vor dem Tod (abhinivesha). Ja, da kommt man nicht so einfach vorbei und dann gleich fünf Hindernisse auf einmal! Aber meistens ist alles einfacher, als man denkt. Im Grunde sind die 5 kleshas nur eines, nämlich avidya. Was ist Egoismus anderes als das Nicht-Wissen über das Sein der anderen? Das unbedingte Wollen von Dingen ist nichts anderes als das Nicht-Wissen über den Verzicht, der Raum für Neues schaffen kann und nicht alte Räume überfüllt. Das stete Ablehnen von allem, was nicht gefällt oder irgendwie doof erscheint, ist Nicht-Wissen über die Möglichkeiten hinter dem verschlossenen Blick. Und last but not least (!): Die Angst vor dem Tod ist Nicht-Wissen über – nein, nicht über das Leben nach dem Tod – das Leben! Und so schließt sich der Kreis. Yoga ist Leben und ganz nah an dem christlichen Gedanken der Nächstenliebe, die eigentlich nicht viel erfordert, außer der Überwindung von Angst. Denn nach der Frage nach der Ursache allen Übels kommt die Frage, was daraus entsteht. Aus Nicht-Wissen entsteht Angst und das ist, woran Jesu Geburt uns erinnern darf, nicht Angst zu haben, sondern herauszutreten in Liebe zu den Menschen und natürlich auch zu den Tieren. Es ist nicht viel und doch ist es mehr, als wir im Wühlen nach Geschenken zu denken bereit sind. Und – er darf auf keinen Fall fehlen – auch Goethe hat im Faust noch einmal festgehalten „Im Anfang war die Tat“. Gedankenlos war gestern, denke Nächstenliebe und dein Handeln lässt die kleshas schmilzen.